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Kickoff der Gesellschaft für digitale Ethik

"Vieles ist im Digitalen erlaubt, aber deshalb ist nicht alles richtig."

Kickoff der Gesellschaft für digitale Ethik

Berlin 15. November 2019

Schon schräg – man sitzt im Spionagemuseum zum Auftakt eines Vereins, der sich zum Ziel gesetzt hat, u.a. über die gesellschaftlichen Folgen des Aufstiegs amerikanischer Social Media Konzerne aufzuklären und versucht ins Internet zu kommen, um darüber auf eben diesen Kanälen zu berichten. Macht der Gewohnheit. Denn, wenn nichts davon im Newsfeeds erscheint, hat eine Veranstaltung dann wirklich stattgefunden?

Noch schräger wird es, wenn man dann durch das "Default WLAN Setting" des Spionagemuseums aufgefordert wird, sich bei Facebook einzuloggen, um das Internet nutzen zu können und einen like dazulassen. Ist das ein Test?

Die Show beginnt. "Herzlich Willkommen im Qualityland. Eine Zukunft, in der Arbeit, Freizeit und Beziehungen von Algorithmen optimiert sind." Die "lustige Dystopie" des Autors Marc Uwe Kling zaubert viele Schweppes Gesichter ins Publikum. Absurde Tragikkomik einer nicht mehr fernen Zukunft.

Im Anschluss wirft das Gründungsmitglied der Gesellschaft für digitale Ethik Schlecky Silberstein (Blogger, Autor, Filmemacher) Fragen auf wie z.B. "Darf ein Unternehmen mehr über uns wissen, als wir selbst?", "Dürfen die Interaktionsalgorithmen der Newsfeeds aktiv Extrempositionen fördern?", oder auch "Darf jeder auf dem wichtigsten Kommunikationsplattformen der Welt anonym sein?" — hm, weiß nicht, gute Frage. Es folgt ein Vortrag der Autorin und Extremismusforscherin Julia Ebner, die 2 zwei Jahre undercover in rechtsextremen Foren unterwegs war und nun Fragen zum Verhältnis von Digitalem und Demokratie aufwirft. Sie berichtet z.B. davon wie rechtsextreme Gruppen gezielt politisches Microtargeting betrieben oder bestimmte Hashtags pushen, um Wahlergebnisse zu manipulieren. Puh, angenehm ist anders.

Und genau hier kommt die Gesellschaft für digitale Ethik ins Spiel.

Aber langsam. Digitale Ethik, was ist das überhaupt? Und wozu braucht es dann auch noch eine Gesellschaft dafür? Philosophische Wörterbücher definieren Ethik als die Lehre vom richtigen Handeln und Wollen. Für dieses richtige Handeln gibt es Leitlinien, auf die sich eine Gemeinschaft in unzähligen Aushandlungen, Konflikten und Diskursen verständigt hat und die sich im Laufe der Zeit auch verändern. Und klar, warum sollte das nicht auch und gerade für das digitale Leben wichtig sein?

"Das Internet steckt voller Möglichkeiten, unser Leben zu verbessern. Aber auch voller Möglichkeiten, Menschen auszubeuten", und genau deshalb "brauchen wir eine Reflexion darüber, wie wir mit den neuen Möglichkeiten und miteinander umgehen wollen", so liest man auf den Seiten der Gesellschaft für digitale Ethik.

Das klingt groß – und digital ist schließlich nicht nur das Internet. Wo fängt man da an, wenn, wie es Rafael Capurro, Mitbegründer des Internationalen Zentrums für Digitale Ethik in Karlsruhe, formuliert, um die verschiedensten "human and digital interactions" geht?

Das klingt nicht nur groß, das ist auch groß.

Und hier kommt die Gesellschaft für digitale Ethik wieder ins Spiel — die möchte nämlich genau die Aushandlungen, Debatten und Diskurse ermöglichen, initiieren, und im Spiel halten, die uns befähigen sollen, gut und richtig im und mit dem Digitalen zu leben. Das geht nicht von jetzt auf gleich — dieser Zahn wird einem sofort gezogen. Denn einerseits gibt es schon jetzt Unmengen an Fragen, über die zu diskutieren lohnt. Die erwähnten Vorträge der Auftaktveranstaltung geben schon eine Idee von der Bandbreite der ethischen Fragen, die wir stellen müssen. Und andererseits tauchen mit neuen digitalen Technologien auch immer neue Fragen auf. Und was im ersten Moment trocken klingen mag, soll aber durch verschiedenste Formate und durchaus mit Spass (Stichwort: Edutainment) in die Gesellschaft getragen werden.

Das Stichwort ist: anfangen. Die Gesellschaft für digitale Ethik macht das mit der Frage danach, wem eigentlich unsere Daten gehören. Das kommt nicht von ungefähr, denn in diesem Schlamassel stecken wir alle schon drin: wir tragen unser Smartphone wie ein lebensnotwendiges Organ immer bei uns, bestellen bei Amazon, nutzen Google, Facebook, Spotify. Bei all dem hinterlassen wir Spuren oder besser: Daten. Und wenn wir ehrlich sind, dann haben wir keinen Schimmer davon, was mit unseren Daten dann passiert bzw. was mit diesen Daten möglich ist.

Und das sollte so nicht sein, und zwar in zweierlei Richtungen: einerseits sollten wir mündige digitale Personen sein und damit eben nicht mehr nur passive:r Nutzer:in, sondern aktive Mitgestalter:in der digitalen Welt. Das heißt wir brauchen ein zumindest basales Interesse und Verständnis der Technologien, die wir benutzen und darüber, welche Daten wann und wofür gesammelt werden. Das schließt ein, dass wir darüber nachdenken, was wir bereit sind preiszugeben von uns und unserem Leben. Keine einfache Frage, aber eine wichtige. Zugleich, und nicht weniger wichtig ist aber auch, dass Gesetze und Schutzmechanismen von Politik und Unternehmen eingerichtet werden, die genau diesen verantwortungsvollen Umgang mit sich selbst und Technologie ermöglichen.

Da haben wir sie, die Gemeinschaft.

Digitale Ethik ist nichts, was der Politik überlassen werden sollte und auch nichts, was ein:e Einzelne:r alleine stemmen könnte. Digitale Ethik kommt aus dem Miteinander, aus dem Gespräch, dem Streit, dem Diskurs.

Wir verraten nicht zu viel, und die Aufgeweckten unter euch haben unsere Begeisterung für die Gesellschaft für digitale Ethik längst bemerkt, wenn wir sagen, dass wir für Waterkant 2020 zusammen mit der Gesellschaft für digitale Ethik einen Fokus auf genau diese Themen  und Fragen legen wollen. Damit knüpfen wir an an die Fragen der Digitalen Autonomie, die wir auf dem diesjährigen Festival bereits mit Jan Philipp Albrecht und Cathleen Berger von Mozilla diskutiert haben.

Auf den Seiten der Gesellschaft für digitale Ethik findet ihr so unfassbar gute Beispiele für das Was, Argumente für das Warum und so einfache, wie einleuchtende Vorschläge für das Wie. Schaut vorbei, lest ihren Newsletter, werdet Mitglied. Das ist ein Riesending!

Am Ende bin ich bei meinem kleinen WLAN-Bequemlichkeits-Dilemma dem kleinen Hinweis gefolgt "Verwende stattdessen einen WLAN Code". Ich ging also zum Empfang, wartete auf die Mitarbeiterin, die erst noch Kaffee für andere Gäste machte und holte mir einen handgeschriebenen WLAN-Code. Facebook nicht zu nutzen, ist anstrengend, aber für das gute Gefühl in der Magengegend lohnt es sich. Anfangen eben.

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